Urban Explorer

Ich muss zugeben, der Osten Deutschlands interessiert mich vor allem aus einem Grund:

Die große Anzahl an verlassenen und leer stehenden Gebäuden.

Mein kleines Geocacherherz schlägt gleich höher, wenn in einer Cachebeschreibung die verheißungsvollen Worte 'Lost Place' auftauchen. Gerüchten zufolge gibt es davon im Osten viele, rund um Ballenstedt leider weniger... Das heißt: keine Lost Place Caches! Lost Places in ihrer 'Urform' (also einfach leer stehende Gebäude ohne Döschen) gibt es auch hier genug. Also haben wir kurzerhand das GPS-Gerät daheim gelassen und sind ganz traditionell zu Urban Explorern geworden.

Der Urban Dictionary sagt dazu:

The act of exploring locations that are abandoned. An urban explorer will be one who goes to locations to take pictures, video or just to look. ~ www.urbandictionary.com

Glücklicherweise standen am Eingang dieser zwei Lost Places, die wir in Ballenstedt besichtigt haben, keine Verbotsschilder. Denn anders als Freund S, der befürchtet in den LPs könnte noch jemand wohnen, habe ich mehr Angst davor der Polizei blöde Fragen zu beantworten, warum wir uns bei schönstem Wetter außgerechnet in einer alten Wurstfabrik aufhalten... 

Besagte Wurstfabrik

nochmal von der Seite

Bitte eintreten

Kleiner Vogel, der mächtig viel Lärm gemacht hat

Aktenreste

Disketten und Papierkram

Im Erdgeschoss der Fabrik befanden sich nur leere Lagerhallen. Einzig die verschlossenen Rolltore erinnerten noch daran, das hier mal Lieferverkehr geherrscht hatte. Vereinzelte Graffities und eingeschlagene Fensterscheiben zeugten davon, das wir nicht die ersten, aber wohl mit Abstand die anständigsten Besucher der Fabrik seit langer Zeit waren. S' Befürchtung irgendein Obdachloser könnte hier hausen konnte auch nicht bestätigt werden. Der Einzige, der hier unten herumschwirrte war ein kleiner Vogel, der lautstark seine Familie zu verteidigen versuchte, als wir wohl seinem Nest zu nahe kamen. Also ließen wir ihn in Ruhe und gingen ein Stockwerk höher.
Dort mussten sich die Büros befunden haben, zumindest wurden unzählige Akten, Dokumente und Disketten zurück gelassen, die Randalierern zum Opfer gefallen waren. Nach ca. fünf angrenzenden Büroräumen auf jeder Seite des Flurs drehten wir um, da wir nicht damit rechneten, noch auf etwas anderes als lose herumliegendes Papier und Staub zu treffen.
Wie man in das oberste Stockwerk gelangt ist uns immer noch ein Rätsel. Vermutlich befindet sich im hintersten Teil der Fabrik noch ein Treppenhaus. Nicht gerade schlau gebaut, aber was soll's...

Keine Treppe, deshalb mussten wir zur Haustür hochklettern

Der Wächterstuhl war zu unserem Glück unbesetzt

leider typischer Zustand von LP-Fenstern

Gleich neben der Wurstfabrik stand ein altes Backsteinhaus mit ausgebranntem Dachstuhl. Natürlich mussten wir dort auch hinein (nachdem wir erst einmal komplett um es herum geschlichen sind).
Im Gegensatz zur Wurstfabrik roch es in diesem Haus stellenweise entsetzlich. Wasserschäden, aufgeweichte Tapete und verschimmelter Bodenbelag aller Art. Viel spannender als die Fabrik war es leider auch nicht, vor allem da das oberste Geschoss aufgrund der zusammengebrochenen und verbrannten Treppe nicht begehbar war.

Und zum Schluss noch das Wichtigste:
Beim Urban Exploring (sowie beim Geocaching) gilt: Take nothing but pictures, leave nothing but footprints. Zerstörung und Verschandelung von LPs ist etwas grässliches und zerstört nicht nur die alte Einrichtung sondern auch das Flair der verschiedenen Gebäude und Plätze. Man stelle sich nur vor wie schön es ist z.B. durch eine alte Fabrik zu wandeln, während einem die ganze Zeit obszöne Graffities von den Wänden anstarren...
Außerdem gilt wie immer: Safety First! Es lohnt sich nicht eine morsche Treppe hochzugehen oder einen schmalen Balkon ohne Geländer entlang zu balancieren, wenn man danach mehrere Wochen mit Bein- oder Armbruch im Krankenhaus liegen muss! Natürlich immer von Vorteil: jemanden dabei zu haben. Der kann im Schlimmstfall einen Krankenwagen rufen und im Bestfall die schönen Eindrücke und die Atmosphäre mit einem teilen.