22. März 2011

Montag, 18 Uhr in Konstanz

.ausgestrahltÜber Michi und ein riesen Plakat am Ortseingang habe ich von den Anti-Atomkraft-Demos gehört, welche jetzt jeden Montag bei uns auf der Marktstätte statt finden. Ich hatte eigentlich so meine Bedenken dort hin zu gehen, da die letzte Demo zum Bildungsstreit ziemlich blöd ablief und die meisten mit einem Bier in der Hand dastanden, was natürlich auf einer Demo megaproduktiv ist... Da ich aber eh zur Post musste, habe ich mal vorbei geschaut, ob schon wieder alle betrunken sind, oder ob's geht.
Als ich zum Brunnen kam war schon einiges los. Meine Befürchtungen sind zum Glück nicht eingetreten und es war eine bunte Mischung an Leuten da. Eigentlich war es ja auch keine richtige Demo, sondern eher eine Mahnwache, die abgehalten wurde. Es wurden einige Worte zu den Vorfällen in Japan und der Atompolitik allgemein gesagt und dann gab es eine 10-minütige Schweigepause, um der Opfer in Japan zu gedenken. Natürlich waren auch einige andere Gruppen anwesend, die dann auch in eigener Sache etwas Werbung betreiben wollten. Die obligatorischen antifaschistischen Fahnen wurden am Brunnen befestigt, die Direktkanditatin der Piratenpartei war persönlich mit einer Art Schautafel über Atomkraftwerke in Deutschland anwesend und auch die Frauen von "belladonna Frauen und Kultur" waren da und durften nach einer Gesangseinlage einer christlichen Gruppe aus Radolfzell etwas über einen Vorfall hier aus Konstanz erzählen.

Für mich war das ein vollkommen neues Thema, da ich weder unsere Tageszeitung lese und nur sehr selten Radio höre. Ich denke zumindest online werde ich jetzt aber den Südkurier etwas verfolgen, damit ich nicht mehr ganz so unwissend durch die Gegend laufe, was Lokalpolitik und Ortsgeschehen angeht. Der besagte Vorfall ereignete sich am 15. März. Die Landtagskanditatin der SPD Zahide Sarikas wurde am Abend in ihrem Wahlkampfbüro überfallen, woraufhin sie ins Klinikum eingeliefert wurde. Ob die Tat politisch motiviert war ist noch nicht ganz sicher, denn wie ich durch meine kleine Recherche erfahren habe, hatte Sarikas nicht wenige Feinde. Die türkischstämmige Frau lebt seid vielen Jahren in Konstanz und engagiert sich im Namen der SPD vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund und eine gerechtere Bildung. Sie hat sich gegen das Kopftuch tragen ausgesprochen und verhindert, das ein berühmter islamistischer Hassprediger nach Konstanz kommt. Dafür erhielt sie einerseits die Bewunderung ihrer Partei und der Konstanzer, auf der anderen Seite aber auch massive Drohungen aus der islamistischen Szene.
Ob der tätliche Angriff auf Sarikas nun gegen ihre politischen Motive, gegen sie als Frau mit Migrationshintergrund, gegen die Demokratie, die sie hier in Konstanz verkörpert oder gegen sie als Frau geht, die sich gegen den Hass ausspricht, der von vielen Anhängern ihrer Religion ausgeht, ist unbekannt aber wie man es dreht und wendet, die Frau wurde angegriffen, weil sie vertretbare und in meinen Augen vernünftige Ideale vertritt, die irgend einem Spacko nicht gepasst haben. Trotz allem wird sie weiterhin für die SPD kandidieren, was nur noch mehr zeigt, was für eine starke Frau sie ist. Ich hoffe nur, dass es jetzt nicht eine Welle von Solidaritäts-Wählern gibt, die sie nur aus diesem Grund wählen und nicht, weil sie das Parteiprogramm der SPD, für die sie nunmal steht, gut heißen.
Einen sehr bitteren Nachgeschmack hat der Anschlag auf Sarikas jedoch, wenn es sich wirklich um eine Tat aus rechtsextremen Gründen handeln sollte, wozu im Moment zumindest die Meinung des Südkuriers tendieren scheint. Dieser Artikel über die brökelnde Solidaritätshülle Konstanz bringt es recht gut auf den Punkt. Zwar ist Konstanz vor allem durch die Studenten eine sehr junge und lebendige Stadt, dennoch scheint tief unten immer noch ein sehr konservativer und altmodischer Kern zu sitzen. Das bekommt man als Jugendlicher und Student leider all zu oft mit. Die Stadt und ihre Oberhäupter scheinen einfach zu sehr auf ihren Ruf als elitäre, teure Erholungs- und Kulturstadt zu setzten. Veranstaltungen wie das Rock am See werden zwar geduldet, jedoch merkt man vielen Konstanzer an, dass sie das Festival am liebsten aus der Stadt haben wollen und generell recht engstirnig allem gegenüber stehen, das neu und frisch und somit eben auch anders ist. Als Student wird man von vielen noch immer recht abschätzig behandelt und wenn eine Eliteuni nicht so gut ins Stadtportrait passen würde, hätte man sich wohl schon längst gegen die Flut junger Leute, die sie eben mit sich bringt, ausgesprochen.
Ich frage mich nur, wie eine Stadt, die sich nur zu gerne als liberal bezeichnet, bei vielen Sachen so aus ihrem selbstgefertigten Bild fällt. Dass sich manche nicht einmal trauen mit Bild und Namen in der Zeitung vermerkt zu werden, wenn sie ihr Bedauern wegen Zahide Sarikas äußern ist wirklich traurig. Als wäre es hier, in einer Stadt mit einer, wie ich eigentlich dachte, sehr linken und liberalen Front, immer noch verpönt sich unterstützend hinter einen Menschen zu stellen, der nunmal Türke, Albaner oder etwas anderes nicht-deutsches ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass Menschen, die einer türkischen Familie keine Wohnung vermieten würden, jeden Abend zum Dönerladen um die Ecke zu gehen, um sich einen Feierabend-Yufka zu holen...
Ich bin wirklich froh, dass meine Eltern mir eine liberale Erziehung haben zukommen lassen. Irgendwie haben sie schon alles richtig gemacht!
Aber hier noch mal etwas Erfreulicheres:
Nach der Demo fand noch eine Podiumsdiskussion im Konzil statt, aber Michi und ich haben uns dagegen entschieden dort hin zu gehen. Ich sehe es irgendwie nicht ein auf eine offene Podiumsdiskussion ohne festgelegtes Thema zu gehen. Im Moment interessiere ich mich hauptsächlich für die politische Sicht zum Thema Bildung und wollte deshalb nichts über Stuttgart 21 hören (da steht meine Meinung eh fest) und den Atomausstieg befürworten die Parteien doch jetzt eh alle, da der allgemeine Tonus in Deutschland eben gegen Atomkraft geht und sie sich so mehr Stimmen erhoffen.
Unsere Alternative zu nichtssagendem Politikergewäsch war daher: Bingo spielen im Shamrock!
Dennoch hat es sehr viel Spaß gemacht mal nur mit Michi unterwegs zu sein. Bei einem Bierchen oder Cider ein wenig zu labern und sich auszutauschen war etwas, dass ich schon lange nicht mehr hatte und ich habe es echt vermisst! Leider habe ich hier in Konstanz ziemlich selten Gelegenheit dazu so richtig mit jemandem über Gott und die Welt zu reden... Ich hätte vor vier Jahren einfach das machen sollen, was ich vorhatte: mir meine Caro schnappen, sie irgendwie betäuben und mit hierher nehmen!


P.S: Vergesst nicht am Sonntag wählen zu gehen!!!

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