28. März 2011

Dear Diary


Als ich noch jünger war (und noch keinen Computer hatte...) habe ich ein Tagebuch geführt. Auch heute habe ich ein kleines Heftchen in das ich immer wieder gerne etwas hinein schreibe.
Leider scheinen Tagebücher immer weniger benutzt zu werden. Jeder, der das Bedürfnis hat sich etwas von der Seele zu schreiben führt einen Blog. Der Unterschied zu den guten alten Tagebücher ist nur, dass man seine Gedanken und Gefühle mit einer kleinen oder nicht ganz so kleinen Leserschaft teilt. Dabei macht es wenig Unterschied, ob man die Leute nun persönlich kennt, die den eigenen Blog lesen, oder ob man sie auch im realen Leben kennt. Wer nicht alles teilen will, der öffnet seine Gedanken nur einer ausgewählten Leserschaft, aber dennoch ist ein essentieller Teil des Tagebuch Schreibens dadurch verloren gegangen.
In der aktuellen Ausgabe von ZEITCampus können wir einen Blick in ein paar Tagebücher ehemaliger Studenten werfen. Ich wollte das zum Anlass nehmen, um ein paar Ausschnitte vorzustellen und aus einem weiteren Tagebuch, dass schon durch viele Hände ging und auch den Weg in unseren Besitz gefunden hat.



Ernst-Theodor Klemm (1913 - 2003)
Sonntag, 11. Februar 1934
Auf dem Bahnhof traf ich Fräulein Günzler; da ich gerade neben ihr herlief, konnte ich nicht anders, als sie anreden. Ich sagte, es sei wieder kalt geworden - und nun staunt der Laie! Sie antwortete nicht bloß mit "Ja", wie ich es prompt erwartet hatte, sondern sie sagte ganz freundlich: "Ja, und gestern war es so schön warm." Nach diesem Erfolg stieg ich voll Stolz und Freude auf die Hochschule, um je eine Stunde Musikdiktat und Gehörbildung zu genießen, was mich einigermaßen auf die Erde zurückbrachte nach dieser himmlischen Begegnung am hellen Morgen!
Ich find's süß, dass er sich von dieser Dame (mit der er zwei Jahre vorher einmal getanzt hatte) so sehr den Kopf verdrehen lässt.

Bertel Kneipp* (geboren 1927)
Donnerstag, 2. März 1950
Es ist geschehen. Was ich so lange, immer inbrünstiger und mit stets wachsender Spannung erwartete - es ist geschehen. Und eines wenigstens darf ich sagen: es geschah in intensiver Liebe...
Hier spricht ein echter Mann...

Christiane Liefers* (geboren 1970)
Dienstag, 5. Dezember 1995
Ich fühl mich mal wieder furchtbar. Nach knapp vier Stunden fernsehen. Mein Referat läuft am Donnerstag, bin immer noch nicht fertig. Nebenan stöhnt eine Frau. Und ich kann genüsslich zuhören, weil ich weiß, dass es mir gut geht! Ich habe ein gut gehendes Sexualleben.

Und hier eine sehr verwirrte Dame. Fühlt sie sich nun furchtbar oder geht es ihr gut? Immerhin hat sie ein funktionierendes Sexualleben (und laute Nachbarn).

alle Einträge aus ZEITCampus, Nr. 2 März/April 2011
* Namen wurden geändert



Von unseren Vormietern bekam ich ein kleines Buch mit komischen braun/gelb/grünem Muster in die Hand gedrückt. Laut ihnen stammt das Tagebuch von einem Homosexuellen, der es irgendwann mal bei einem Auszug einfach liegen ließ. Seit dem macht das Büchlein in Konstanz die Runde und wurde immer wieder weiter gereicht, bis es schließlich seinen Weg zu uns fand. Ich bin mir selbst noch nicht ganz sicher, ob ich es behalten soll, oder ob ich der Tradition des Weitergebens nachgeben soll. Ich habe einer Kommilitonin von dem Büchlein erzählt und sie würde es auch gerne mal lesen und ich denke, das wäre ein günstiger Zeitpunkt es wieder auf die Reise zu schicken...
Allerdings werde ich vorher ein paar Fotos davon machen oder die Seiten einscannen oder irgendwas. Zwar ist die Schrift teilweise schwer leserlich aber die ganzen Illustrationen und Kritzeleien müssen irgendwie präserviert werden!
Von dem, was ich entziffern konnte, hat der Schreiber ziemlich große Probleme mit seiner Beziehung zu einem gewissen Uli. Mal lieben sie sich, mal hassen sie sich und irgendwie zieht es den Schreiber immer und immer wieder zu ihm zurück. Ich wüsste ja zu gerne, ob die Beiden noch zusammen sind... Außerdem scheint er in einer sehr großen Sinnkrise zu stecken und sucht krampfhaft nach diesem einen Platz, an den er gehört.Hier ein paar kurze Ausschnitte aus dem Tagebuch:

KN, 17.3.98
So halbwegs bin ich nun wieder genesen.
Uli und ich haben viel alte Wäsche gewaschen. Mir scheint es noch nicht aber genug. Außerdem ist Daniel wiederbei Uli in die Wohnung gezogen was mir gar nicht behagt.
Uli und ich schlafen nicht mehr miteinander. Alles ist ziemlich kompliziert.
4. April [98]
Ich bin so brutal traurig wenn ich in unserer WG bin. Bin nicht fähig aus meiner Isolation von Uli und mir herauszutreten. Unfähig, gelähmt und aufgerieben.
Bin ich so verletzt - aus der Mischung heraus Krankheit, Vorwürfe, Reiseeindrücke, das ist es jedenfalls auch!? Wo soll ich nur wieder anfangen, wie soll ich nur wieder anfangen?
Wie, wie, wie soll ich meine Trauer brechen, wie bewältigen, wie frei sein??? Wie wieder glücklich sein. Wie um Gottes Willen kann ich diesen Bann brechen ohne selbst zu zerbrechen und alles andere auflösen zu müssen?
Ich sollte fasten!
[Interessantes Bild von drei Flaschen]
Und alle Flaschen stehen lassen.
Die sehr grobe und hektische Handschrift im Mittelteil des Eintrags zeigt, wie aufgewühlt der arme Kerl wohl gewesen sein musste.

Performanceidee
Lange, schöne kahle Äste sammeln
- Auf Arme und Beine legen
- durch leichte Bewegungen ins Schwingen bringen
Interessante Idee...

Teilweise fühlt man sich schon wie ein Voyeur, wenn man so die Gedanken eines anderen liest. Im Internet kommt mir das lange nicht so stark vor wie hier, wo ich dieses kleine Buch vor mir liegen habe. Auf der letzten Seite stehen zudem noch vertrauliche Kontodaten dieser Person und wenn man das Buch aufschlägt kommt einem ein Geruch entgegen, der an eine Mischung aus Parfum und Räucherstäbchen erinnert. Wahrscheinlich ein Überbleibsel des Schreibers und der vielen Leute, die dieses Büchlein gelesen haben.

Teile aus meinen eigenen, alten Tagebüchern kann ich hier leider nicht veröffentlichen, weil die alle noch bei meinen Eltern zu Hause rumliegen... Vielleicht ein ander Mal.
Hm

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